
Torre Sant’Andre
Liebe Italien-Freunde
was tut sich so in meiner kreativen Pause? Zuerst war da Langeweile, frisch angekommen in Grosseto. Was soll ich jetzt tun, wie fülle ich meine Tage? An sich wusste ich, dass drei Reisen anstehen, die eine nach Neapel. Da war gerade das Programm neu zu gestalten – das machte Spass. Die beiden anderen Reisen sind Privatreisen für feste Gruppen. Die Erste führt zu Wein und Kultur in den Salento, die zweite nach Rom, noch weit weg, im Oktober erst. Klar also, dass wir dann mal auf Entdeckungsreisen gehen würden, und bis dann? Es war unerwartet kalt im Mai. Wir besuchten Rom mit Schifffahrt auf dem Tiber, neu für mich, gemächlich, weg vom Gewusel und dem Gedränge rund um die Hotspots. Dies ist ein Tipp für Rom-Reisende, die sich mal aus dem Touristenstrom ausklinken wollen: Tiber-Insel –> rüber ans Ufer des Trastevere –> hier ist die Anlegestelle.
Doch heute erzähle ich nicht von Rom, denn Anfang Juni fuhren wir von Grosseto los Richtung Salento, und von dieser Reise voll spannender Überraschungen will ich hier erzählen:
Wir wollten die Autobahn so weit wie möglich meiden. Das bedeutete für uns, in Cassino Richtung Isernia abzuzweigen und über Campobasso – Lucera – Foggia Castellana Grotte zu erreichen. Da wollten wir übernachten. Jedes mal wenn ich das Kloster Montecassino sehe, ein weisser Fanal hoch über der Ebene auf der Bergspitze thronen, fahren mir Schauer über den Rücken. Ich erinnere mich an die Soldaten-Friedhöfe rund um diesen Ort, der im 2. Weltkrieg zäh, lange und blutig umkämpft war *. Ich erinnere mich jedoch auch an die geistige und künstlerische Kraft, die im Mittelalter von diesem Ort der Benediktiner weit ausstrahlten, z.B. nach Sant’Angelo in Formis. Die Fresken in dieser Kirche sollen den zerstörten Mosaiken in der Mutterkirche nachgebildet sein. Sie begeistern mich und meine Gäste immer wieder (Neapel-Reisen).
* Nachzulesen z.B. in „La Pelle“,“Die Haut“, von Curcio Malaparte
Wir sind in Cassino angekommen und verlassen die Autobahn. Welche Strasse führt nach Isernia? Nach einigen Wendemanövern finden wir den blauen Pfeil, es geht landeinwärts, auf einer wunderbar ausgebauten Strasse. Das haben wir nicht erwartet: wir gleiten wie auf einer herrlich geschwungenen Kart-Bahn durch eine wunderschöne Landschaft, sattes Grün, kräftige Laubbäume mit dichten Kronen, gepflegte Orte. Zur rechten Seite begleiten uns die Hügelzüge der Monti Matese, wir fahren Richtung Campobasso. Bei Bojano, wo wir uns zwischen den Monti del Matese und den Monti del Sannio befinden, steht die Raststätte, die den besten Cappuccino zubereitet, den ich je genossen habe: ein Amalgam aus Milch und Kaffee, reiner warmer Milch-Kaffee-Schaum, delikat. Uns drängt es weiter, wir freuen uns auf den apulischen Tavoliere.
Plötzlich öffnetn sich vor uns die weiten, kargen und flach abfallenden Tafelschichten, die zur Adria führen. Erst noch durchfahren wir die Monti della Daunia. „Sanniter“- „Daunier“, es sind die Namen der Völker, die diese Landstriche bewohnten, bevor Rom sie eroberte. Wir sind durch, und da ist er, der Tavoliere. Wir sehen vor uns in der Ferne eine Erhebung, darauf thront mächtig eine ziegelrote Mauer, nichts weiter. Dahinter erhebt sich im Dunst ein graugrünes Gebirge – das muss der Gargano sein. Doch das Mauer-Eck auf der Erhebung? Doch nicht Foggia? „Nein – Lucera“ ruft mein Mann, „das muss Lucera sein, weisst du, da hat Federico secondo (Friedrich II von Hohenstaufen) für die Sarazenen aus Sizilien eine Stadt gebaut, er hat sie alle dahin gebracht, nahe zum Papst, um diesen zu provozieren, da er mit ihm immer wieder Streit hatte. Zur Leibwache umgab sich Friedrich mit Sarazenen, denn von ihnen hatte er nichts zu befürchten.
Wir sehen uns diese Stadt-Mauer genau an, hoch und unüberwindbar scheint sie mir. Ich denke, da waren die Leute eingeschlossen, jedoch auch geschützt. Durch die Gitter-Tore sehen wir innen Leere und trockenes Gras. Da muss weitere Strukturen geben. Der Custode ist nicht da, keine Besichtigung zur versprochenen Zeit. Doch mit etwas Geduld hätten wir es wohl geschafft.
Nun aber wollen wir in Castellana Grotte ankommen und so fahren wir, ohne uns weiter rechts und links umzusehen, vorbei an Foggia an den schönen Orten Barletta, Trani, Molfetta…Bari, direkt nach Castellana. Den Abend verbringen wir bei einem Glas Wein auf dem viereckigen Dorfplatz unter den Einheimischen, etwas überfordert vom lauten Gewirr uns der Stimmen die uns in eine Wolke von Klangfarben und emotionalen Schattierungen hüllen, Sommer-Abend in Castellana Grotte: Mütter reden aufeinader ein, lachen und schimpfen, die Kinder hänseln und necken sich, streiten, schreien und weinen. Männer jeden Alters stehen beieinander und diskutieren gestenreich. Vor uns wird das Podest aufgebaut, auf dem später am Abend Kandidaten zur Wahl der Bürgemeisters zu ihren Wählern sprechen werden, wir sind im Süden angekommen.
Bald geht die Reise weiter! –> Ostuni – Valle d’Itria – Brindisi – Salice Salentino…
B.R. 29.06.2022