Ich erzähle Ihnen hier ein scheinbar kleines Erlebnis in Neapel, in diesem Juni, das mich immer noch sehr berührt. Ich sitze auf der Piazza Dante bei einem Glas kühlen Falanghina, es ist sehr heiss. Der schwarze Verkäufer, mit Taschentüchern und Feuerzeug unterwegs auf der Piazza, kommt auch zu mir. Nein, weder Taschentücher noch Feuerzeug, ich kaufe nichts und gebe jetzt auch keinen weiteren Euro ab. Da nähert sich mir eine ältere Frau. Ihre Kleider sind sauber, ungebügelt, doch gepflegt, sie legt mir die beiden oben abgebildeten, gefalteten Papiere auf den Tisch und wartet.
„Nein! nicht schon wieder“, ist mein erster Gedanke. Die aufgeklebten Sterne auf den beiden Papieren aber rühren mich. Ich schaue auf zu der Frau und sehe, dass sie ein beachtliches Paket an solch gefalteten Blättern fest mit der linken Hand umschliesst. Ich öffne eins der beiden Blätter, das mit dem roten Stern. Die Innenseite sieht so aus, sorgfältig gestaltet. Ich lese


Estate

Che bella l’estate!
Con bibite, granite, gelati,
Cozze, pesce, polipi
Frutta, pizze, e melloni…
Chi può va in vacanza:
Al mare, in montagna,
Chi sta a casa
Perché ha solo una stanza
E chi si carica
Con ombrelloni, sedie,
E borse per prendere
Nei dintorni un po‘ di sole…

Maria D’Agostino

 

Ich blicke auf zu der Frau und gebe ihr den Euro, den ich gerade zur Hand habe und gebe eines der Blätter  zurück. Da legt sie mir auch das Zweite hin und geht ohne ein Wort weiter zu den nächsten Tischen. Ich krame nach meinem Portmonnaie, ich will ihr doch wenigstens einen Fünferschein geben! Ich bin zu langsam,
sie ist schon weg, ich sehe sie nicht mehr, ich lese weiter

Cielo – mare – terra

Gli ulivi nei campi
Si corre, si gioca
Si beve, si mangia…
Nel mare si nuota,
Si pesca, si viaggia…
Nel cielo
Le stelle brillano
Con apparecchi in volo…
Il sole ti riscalda,
E dalle nuvole
Cade
Tant’acqua…

Maria D’Agostino

 

Danke Maria D’Agostino für deine wunderbaren, treffenden Gedichte. Du wirst wohl nie erfahren, dass zwei davon hier veröffentlicht sind. Vielleicht tun andere Beschenkte dasselbe wie ich. Ich würde gerne das Paket in deiner linken Hand öffnen und mich in deine Gedichte vertiefen, von deinen Wahrnehmungen, Gedanken, Erfahrungen lesen.

Ich habe Maria D’Agostino wieder gesehen, jetzt im November, sie hat mir wieder Gedichte geschenkt…, das war 2019, und auch im Sommer 2020 durfte ich ihr wieder begegnen und weitere 4 Gedichte sammeln.

#InNeapel#Italienerleben