Kunst in Neapel – Street Art
1.
Wer in diesen Tagen durch die Strassen Neapels spaziert, sich Zeit nimmt, findet in jedem Winkel der alten Stadtteile gemalte Botschaften auf Mauern und auf Eisentoren. Street Art nennt man diese Malerei. Sie ist wesentlicher Teil jeder Stadtkultur. Direkt wie kein anderes Medium tritt sie in Kontakt mit den Vorbeieilenden. Sie vergrössert, schreit, erheitert, regt an zum Denken, betrifft. Das ist ihr Ursprung und ihr Ziel. Street Art ist Kunst aus dem Untergrund, gibt Botschaften weiter von Rebellen und Andersdenkenden. Sie will bewegen, tut dies, mal scharf, oft auch mit Witz. Alles direkt und unmissverständlich für diejenigen, die verstehen. Street Art ist aktuell und bezieht sich meist auf das lokale Geschehen.
Die folgende Bilderserie stammt von zwei Spaziergängen auf der Suche nach Galerien und Museen in Neapel, im Juni 2018. Ich suche die Casa Morra, nehme den Steig parallel zur Via M.Imbriani, der zur Salita San Raffaele führt, und stehe vor Riesengemälden. Sie überziehen einen grossen Gebäudekomplex. Mal anders als sonst suche ich nicht den Namen des Künstlers, sondern vertiefe mich ins Bild und suche die Botschaft. Ich bemerke erst den süssen grossen Hasen, oder ist es eine Maus? Dann sehe ich die fröhliche Fähnchengirlande und die fliegende Maus über einem blauen grossen Kopf. Ich halte ihn für den Kopf eines Affen. Erst bei genauerem Hinsehen sehe ich, dass da die Figur eines schwarzen Menschen in Blau gemalt ist. Seine Fussohlen brennen. Da bleibe ich stehen. Der Atem stockt mir. Sehen Sie selbst. Jeder liest die Botschaft anders, wahrscheinlich. Dieses Wandbild wurde von einem Street – Artisten mit dem Pseudonym Blu gemalt. Google sei Dank finde ich später heraus, dass ich vor dem Ex – manicomio stand, der ehemaligen Psychiatrie.
Einige Street – Art – Bilder sind signiert,andere sind anonym.
2.
In den letzten Jahren erlebt Neapel eine neue Welle von Street-Art: perfekt gemalte Kunstwerke in Stilen, die wir aus der Geschichte der Kunst kennen. Sie zieren ganze Hauswände. Die Botschaften sind mit Hoffnung verknüpft, zukunftgerichtet. Diese Werke haben eine andere Wirkung auf uns Vorbeieilende als die oben beschriebenen. Ich bleibe auch stehen und frage nach der Botschaft. Sie ist für mich schwieriger zu finden. Die neuen Wandbilder sind durchweg von Strassenkünstlern mit bereits berühmten Namen gemalt. Jorit Agoch und Bosoletti sind die meist Genannten. Jorit Agoch malt fotografisch genaue Portraits, betörend, im Stil der alten Meister. Bosoletti malt Traumfiguren, wunderschöne Menschen mit Natur verwoben, Sirenen. Ist die Botschaft Hoffnung? Aufruf zum sanften Widerstand gegen widrige Umstände?
Via Duomo: San Gennaro heute, Jorit Agoch
Im Rione Sanità: ist es San Gennaro’s Hand, die zeigt „Schau nach oben, schau vorwärts, da ist Hilfe“?
Piazza Santa Maria della Sanità: „Resis-ti-amo“, Francisco Bosoletti,
Piazza Santa Maria della Sanità, „Luce“, Tono Cruz
Das letzte Bild zeigt das in Weiss gehaltene Murale auf der Piazza Santa Maria della Sanità, „Luce“, „Licht“: fröhliche, lachende Kinder in einer gefährlich kriminellen Umgebung. Gefährlich ist sie für Kinder, die ohne die ihnen entsprechende Betreuung und Bildung aufwachsen. Im Quartier gibt es starke Organisationen, die diesen Kindern Spiel, Mitarbeit und Perspektiven bieten.
Licht, Freude, Interesse kommt in ihre Augen, in ihre Gedanken, in ihr Leben…das Ziel! Mir gefällt dieses fröhliche Gesicht, dieses Mädchen mit dem „Licht“ in den Augen, samt ihren Freunden. Weiss ist die Farbe des Lichts und der Reinheit – Weiss steht auch für die Reinheit der Kinder. Vielleicht gibt das Murale den Kindern, die in dieser Gemeinde auch Unterstützung finden, eine gewisse Geborgenheit, Heimat.
2a.
In jüngster Zeit entstehen imposante Murales auf den fensterlosen Seitenwänden grosser Häuserblocks, in problematischen Quartieren. Es sind neue Bilder, von Künstlern wie Agoch. Sie erzählen Geschichten, so, wie einst die Malereien in den Kirchen Geschichten aus der Bibel erzählten. Damals konnte niemand lesen. Es sind Geschichten einer heilen Welt, in Grossformat, in schönen klaren Farben. Dabei sind Portraits von Helden unserer Zeit und Portraits von Kindern aus dem Quartier nebeneinander gestellt: was der oder die geschafft hat, kannst DU auch!!! Viele der Menschen in diesen Quartieren lesen kaum: Bilder leuchten sofort ein.
Ich möchte gerne von den Kindern und den Erwachsenen aus diesem Quartier hören, wie sie diese Murales erleben. Sind es gute Botschaften für sie? Ist es Schönfärberei, eine neue, kurzlebige Attraktion für Touristen?
Die Sozialpsychologie sagt, Sorgfalt zieht Sorgfalt an, wenn ich den Satz, ‚ Vernachlässigung zieht Vernachlässigung an‘ positiv übersetze.
Links zu diesen Bildern:
Links zur Entwicklung der Murales im Parco dei Murales, quartiere Ponticelli, Napoli
http://www.artspecialday.com/9art/2018/06/07/il-parco-dei-murales-a-ponticelli/
http://www.parcodeimurales.it/arte/artisti/